Eine junge Frau im Portrait lächelt freundlich © Credits: Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V. | Foto: Walter Wetzler
Interview
Nachbarschaft | Porträt

Türen öffnen – für besondere Besuche im Berliner Kiez

Christine Thole ist Koordinatorin des Projekts „Türöffner“ und bringt hauptberuflich Menschen zusammen. Wie das funktioniert, wer mitmachen darf und was den Besuchsdienst für die Menschen im Kiez so besonders macht, erzählt sie im degewo-Blog.

Schöne Geschichten erlebt Christine Thole, die im bunten degewo-Kiez Kreuzberg ihr zu Hause gefunden hat, regelmäßig. Ein Bonus in ihrem Job, in dem sie vor allem eines tut: Menschen zusammenbringen. „Türöffner“ – ein Kooperationsprojekt des Caritasverbandes Berlin und des Malteser Hilfsdienstes e. V. – ist ein Besuchsdienst der etwas anderen Art: Hier geht es nicht darum nur einen Job zu erledigen, denn hier treffen zwei aufeinander, die den Austausch miteinander suchen. In einer Großstadt wie Berlin sind es häufig Seniorinnen und Senioren, die unter der Einsamkeit leiden, wie schön wäre jetzt ein Gegenüber? Vielleicht auf einen Kaffee oder zwei? Christine Thole kennt die passenden Menschen – unabhängig von Alter, Nationalität, Religion oder körperlicher Beeinträchtigung, findet sie für jede und jeden das passende Match.

„Oft sind es Freiwillige in höherem Alter, die etwas zurückgeben möchten. Oder Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung, die ihre Deutschkenntnisse verbessern möchten oder einen Einblick in die deutsche Kultur suchen“, erklärt Christine Thole. Die Motive sind vielfältig. Das entspricht auch dem Herzstück des Projekts: Es ist offen für alle Zielgruppen.

Offenheit – das Schlüsselwort für „Türöffner“

Der Kern des Projekts „Türöffner“ in einem Wort? „Offenheit“, antwortet Christine Thole wie aus der Pistole geschossen. Jeder muss offen sein für neue Begegnungen und Erfahrungen: Christine Thole und ihre Kollegin, die Ehrenamtlichen und auch die älteren Menschen. „Sie müssen sich öffnen für Neues. Man holt sie aus ihrer Komfortzone heraus.“ Zumal Frau Thole nicht immer direkt von den einsamen Personen kontaktiert wird: „Oft sind es Angehörige, die sich melden, oder Menschen aus der Nachbarschaft, die sagen, sie kennen eine Person, die sich allein fühlt. In einigen Fällen sind die Einsamen diejenigen, die gerade ihren lebenslangen Partner verloren haben.“

Der Name ist also Programm: Türen werden geöffnet, und das nicht nur symbolisch – oft ist es für beide Seiten ein großer Schritt. Aber es ist einer, der sich lohnt.
Das Konzept geht auf: Fremde Menschen verbringen Zeit miteinander – Alter, Religion und Herkunft spielen keine Rolle – und werden vielleicht sogar Freunde. So wie Paola und Rashed, die gemeinsam seinen Start in Deutschland meistern:

Persönliche Besuchsgestaltung – „Es geht um das Individuelle“

Frau Thole lernt alle Interessenten persönlich kennen. Beim Matching werden formale Aspekte wie Stadtteil, zeitliche Präferenzen, Interessen und Hobbies sowie Ausbildung und Beruf abgefragt und abgeglichen. „Wir schauen, wo es Überschneidungen gibt. Wenn zum Beispiel eine Seniorin jahrzehntelang als Fotografin gearbeitet hat und ein Freiwilliger sich für Fotografie begeistert, kann man da anknüpfen.“

Es geht darum, wegzukommen vom klassischen Besuchsdienst. Stattdessen die Idee: Beide sollen das Treffen persönlich gestalten. Das macht das Konzept von Türöffner auch so besonders. Es ist also nicht einseitig, sondern wechselseitig. Beide Partner können von der gemeinsamen Zeit profitieren: Ein gutes Beispiel für Berlin ist da das Thema Wohnungssuche. Erfahrene Altberlinerinnen oder -berliner können einem jungen Menschen, der neu in der Stadt ist, bei der Wohnungssuche helfen und ihre Einschätzung teilen. Und wenn es um Mobilitätseinschränkungen geht, ist die jüngere Person gerne der gesunde, zweite Arm. „Der Mensch steht im Vordergrund“, betont Christine Thole.

Irgendwann treffen sich zwei und verbringen eine gute Zeit miteinander.

- Christine Thole

Die Besuchspartnerschaften dauern oft ein Jahr oder länger an, denn „die lange Bindung ist wichtig, weil man sich dann auch besser kennt“. So wie bei Hamzah, einem Freiwilligen aus dem Jemen, und seiner Tandemseniorin aus Neukölln: „Sie hat ihm deutsche Sprichwörter beigebracht, er hat mit ihr gebacken“ – ein Paradebeispiel, das Christine Thole in Erinnerung geblieben ist.

„Die Arbeit mit älteren Menschen kann einem den Blick etwas öffnen“

Das sagt Frau Thole aus eigener Erfahrung. Auch deshalb studiert sie derzeit noch nebenberuflich Soziale Arbeit. Das bringt ihr sehr viel, denn „ein theoretisches Fundament ist für die praktische Arbeit hilfreich“. Schon vor ihrer Arbeit am Projekt Türöffner hat sie sich privat engagiert und in einer Flüchtlingsunterkunft vorgelesen.

Für das Projekt „Türöffner“ war die Pandemie Motor und größte Herausforderung zugleich. Zu den generellen Herausforderungen zählt Christine Thole vor allem Altersarmut, soziale Isolation oder Rückzug. Hinzu kommen altersbedingte Krankheiten wie eingeschränkte Mobilität, Demenz und Vorurteile, die eine Hemmschwelle darstellen können. „Dennoch“, so Thole, „gelingt es, Menschen zusammenzubringen und der Einsamkeit entgegenzuwirken.“ Derzeit sind berlinweit 25 Freiwillige im Projekt aktiv, Tendenz steigend.

Sie ist überzeugt, dass jede und jeder Einzelne im eigenen Umfeld etwas bewegen kann. Ob es darum geht, den älteren Nachbarn mal die Einkaufstasche zu tragen oder sich in einem Projekt wie „Türöffner“ zu engagieren – „jeder kleine Beitrag zählt“, betont Christine Thole und macht Mut, sich zu engagieren.

Eine klare Vision: Gemeinschaft stärken – Vorurteile abbauen

Neben der Projektkoordination und dem regelmäßigen Austausch mit den Teilnehmenden ist das zusätzliche Angebot und die Netzwerkarbeit eine wichtige Aufgabe. Für die Zukunft des Projekts haben die Projektkoordinatorinnen Christine Thole vom Caritasverband Berlin e. V. und Susanne Schattschneider vom Malteser Hilfsdienst e. V. eine klare Vision: „Es soll dazu beitragen, die Gesellschaft für das Thema Einsamkeit zu sensibilisieren. Und zugleich eine Möglichkeit bieten, direkt etwas dagegen zu tun.“ Auch soll es helfen, Vorurteile jeglicher Art abzubauen, zum Beispiel gegenüber Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung oder gegenüber anderen Generationen. Sie ist überzeugt: „Wir alle können dazu beitragen, mehr Gemeinschaft im multikulturellen Berlin zu schaffen.“