Auf nach Spandau! Für unser Mietermagazin stadtleben flogen wir über den Bezirk und erklären, warum er Hoffnungsträger des Berlin Booms ist.
Es ist wie in einem Pkw. Vorne links sitzt der Fahrer, Pardon, der Pilot, Reinhard Wartig. Vorne rechts hat sein Passagier Platz genommen: Dirk Laubner, Luftbildfotograf. „Können wir den Siemensdamm noch einmal umrunden, Herr Wartig?“, die Frage des Fotografen rauscht in den Kopfhörern, die alle drei Insassen tragen, ich also auch. „Natürlich“, antwortet der Pilot knapp, und schon legt sich die Cessna mit der Kennung „Echo-Sierra-Golf-Whisky“ in die Kurve. Unter ihr: Spandau – einer der Bezirke, der Berlins Wachstumsschmerzen lindern soll. Kann er das? Und was bedeutet das überhaupt? Hinter diesen simplen Fragen steckt ein komplexes Thema. Städtewachstum. Um komplexe Themen entschlüsseln zu können, hilft es, den Blickwinkel zu wechseln, sagt man. Alles mal mit Abstand betrachten. Von hoch oben zum Beispiel.
Dirk Laubner macht das ständig. Als Luftbildfotograf wechselt er im Auftrag seiner Kunden die Perspektive. Er arbeitet für Stadtplaner, Landesentwicklungsgesellschaften, Medien, Verlage, Immobilienbesitzer. Für degewo ist er ebenfalls regelmäßig über Berlin unterwegs, um die Bestände und Neubauten des Unternehmens zu dokumentieren. Auch heute. Er will die zwei neuen degewo-Quartiere in Spandau ablichten: die Neubauten in der Mertensstraße – die Pepitahöfe – und den Rohbau in der Paulsternstraße. Beides sind Gemeinschaftsprojekte mit der städtischen Wohnbaugesellschaft WBM.
Schauen wir also auch auf die nackten Zahlen: Berlin wächst. Allein in den Jahren 2011 bis 2016 sind 245.000 Menschen zugezogen – so viele leben in einer Großstadt wie Kiel. Jährlich kommen 40.000 Neu-Berliner in die Stadt – das entspricht in etwa der Einwohnerzahl von Falkensee oder Oranienburg. Und auch wenn die Prognosen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen besagen, dass in den kommenden Jahren der Zuzug etwas abflauen wird: Spätestens im Jahr 2030 ist Berlin eine Vier-Millionen-Einwohner-Stadt. Berlin wächst – und ächzt. Wo soll das alles hinführen? Führt immer mehr Zuzug zu steigenden Mieten? Gibt es in Zukunft noch genügend Kita- und Schulplätze für alle? Wie kommen all diese Menschen zur Arbeit? Mit dem Auto? Der Bahn? Finden überhaupt alle Arbeit?
Was den Wohnungsmarkt angeht, rechnen die Experten derzeit noch: Die Senatsverwaltung geht in ihrem Stadtentwicklungsplan (StEP) Wohnen 2030 davon aus, dass pro Jahr 20.000 neue Wohnungen gebaut werden müssten. Das Ziel: Bis 2030 sollten in der Stadt bis zu 200.000 Wohnungen mehr stehen als heute. Nur so könnten alle eine Bleibe finden. Die Wohnungen entstehen in mindestens 14 neuen Stadtquartieren und etlichen Groß- und Einzelbauprojekten. Wie diese Zahlen Berlin verändern werden? Wechseln wir wieder die Perspektive.
Aus der Cessna über Spandau blickt man auf Gebäude aus Stein, Straßen aus Asphalt, Schienen aus Stahl, die Zitadelle aus der Renaissance-Zeit – alles scheint für die Ewigkeit gebaut. „Doch es verändert sich eine Menge. Man nimmt es von hier oben aber eher von Flug zu Flug war“, sagt Dirk Laubner. In einem Jahr sei er bestimmt 20 Mal über der Stadt unterwegs. Und das schon seit 1994. Er sah, wie der Potsdamer Platz entstand, beobachtet, wie die Europacity wächst, das neue Stadtschloss gedeiht.
Im Wandel war Berlin ständig. Es passierte aber nur selten so viel auf einmal wie derzeit. Von den 14 geplanten neuen Stadtquartieren sind bereits vier im Bau: die Europacity, die Schöneberger Linse, Johannisthal/Adlershof und die Wasserstadt Oberhavel in Spandau – das Quartier, wo Dirk Laubner auf die Baukräne gezeigt hat. Bereits Mitte der 1990er-Jahre entstanden dort die ersten der bis zu 5.500 geplanten Wohnungen entlang des Wasserlaufs. Damals setzte man vergebens auf einen Bauboom. Doch seit 2017 knüpfen die Stadtplaner an die Entwürfe von damals wieder an.
Etwas weiter östlich werden zwischen Saatwinkler Damm und Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal in den kommenden Jahren 3.000 bis 4.000 neue Wohnungen wachsen – auf der Insel Gartenfeld, einem ehemaligen Industrieareal. Noch weiter Richtung Osten will der Siemens-Konzern in Siemensstadt einen eigenen Campus bauen – eine Art Smart-City-Wohn-Gewerbegebiet mit rund 3.000 neuen Wohnungen, Werkstätten und Produktionsmöglichkeiten für Startups. Die Vorverträge mit der Stadt sind schon besiegelt. Siemens investiert 600 Millionen Euro in den Campus, die Stadt fast genauso viel in den Ausbau der Infrastruktur. Die ehemalige Siemensbahn etwa soll wiederbelebt werden: Die fünf Kilometer lange Bahntrasse wurde in den 1980er-Jahren stillgelegt, rostet jetzt unter Unkraut und Gebüsch dahin und soll einen entscheidenden Teil dazu beitragen, dass sich die Pendler aus und nach Spandau morgens und abends nicht mehr in der Bahn auf den Füßen stehen müssen.
Die Cessna ruckelt, eine kleine Turbulenz. Ist Spandau berechtigter Hoffnungsträger einer enger werdenden Stadt? Bislang hat man in der Hauptstadt doch eher gewitzelt, wenn es um den Bezirk am Westrand ging. Selbst die BVG warb schon mit „Für 7 Euro durch ganz Berlin ... und Spandau“. Die Cessna legt sich nach links. Der Pilot steuert sie nach Nordwesten. „Wir dürfen jetzt endlich den Abflugsektor von Tegel durchfliegen“, sagt er. „Wunderbar“, antwortet Dirk Laubner und greift wieder zur Kamera. „Echo-Sierra-Golf-Whisky“ nähert sich dem neuen Quartier von degewo in Spandau – den Pepitahöfen. Strahlend weiß liegen die Häuser auf einem rechteckigen Gelände an der Mertensstraße. Von oben erkennt man große Spielplätze, weite Grünflächen zwischen den Häusern, eine Kita und sogar den Kiosk an der Grundstücksecke Goltzstraße. Ende des vergangenen Jahres wurden die 1.024 ein bis fünf Zimmer großen Wohnungen zusammen mit der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft WBM sowie den Immobilienentwicklern Kilian und MHMI fertiggestellt. Für 256 der Wohnungen benötigen die Bewohner einen Wohnberechtigungsschein. „Ein Mammutprojekt für uns“, sagte Kai-Marten Maack, Leiter der Abteilung Akquisition und Einkauf bei degewo, vor ein paar Tagen im Gespräch, „aber wichtig war vor allem, dass wir hier günstigen Wohnraum anbieten können.“ Die Nettokaltmieten beginnen bei sechs Euro pro Quadratmeter und liegen im Durchschnitt bei nur 8,96 Euro. „Kein Wunder, dass der Wohnraum innerhalb kürzester Zeit vermietet war“, so Maack weiter.
Spandau hat gegenüber anderen Berliner Bezirken einen Standortvorteil: Hier sind noch große Bauflächen vorhanden. Der Spandauer Bezirksstadtrat für Bauen, Planen und Gesundheit, Frank Bewig: „Wir gehören bereits zu den Bezirken mit den günstigsten Mieten.“ Die Cessna fliegt wieder Richtung Altstadt. „Ich finde, es ist ein unterschätzter Bezirk“, rauscht Dirk Laubners Stimme durch den Kopfhörer, „ein wunderbarer Ort, um Ruhe zu tanken.“
Ich blicke aus dem Fenster, sehe die Havel mit ihren Inseln, den Spandauer Forst, das nahe Brandenburg – und auf meiner Augenhöhe ein startendes Flugzeug aus Tegel. Am Himmel über Spandau ist viel los. Die Flugzeuge überqueren bei Start oder Landung die Wasserstadt von Spandau – je nach Windrichtung. Ein Leben in der Einflugschneise. Neue Wohnungen, günstige Mieten, doch die „Da-ziehen-jetzt-alle-hin-Loblieder“ sind bislang ausgeblieben. „Aber stellen Sie sich mal vor, wie es hier sein wird, wenn der Flughafen irgendwann geschlossen wird“, sagt Dirk Laubner. Ich denke, himmlisch ruhig.