Wir begeben uns auf Spurensuche und lernen den Namensgeber einer Straße in Marzahn kennen, die für degewo-Mieterinnen und -Mieter keine Unbekannte ist: die Joachim-Ringelnatz-Straße.
Die kleine Straße im Berliner Osten trägt einen bekannten Namen. Und der Lebenslauf des Namensgebers – Joachim Ringelnatz – hat nicht nur eine ungewöhnliche Wendung vorzuweisen. Die Straße hingegen schon, hier geht es nur einmal ums Eck und mittendrin stehen sieben moderne Wohngebäude von degewo.
Drei Geschwister in bescheidenem Wohlstand
Hier wohnt man heute zumindest dem Namen nach mit dem Schriftsteller, Kabarettisten und Maler Joachim Ringelnatz, der 1883 in Sachsen als Hans Bötticher zur Welt gekommen ist. Er wächst als jüngstes von drei Geschwistern in bescheidenem Wohlstand auf. Die Familie beschäftigt immerhin zwei Dienstmädchen. Vor allem sein Vater Georg Bötticher, der selbst als Schriftsteller tätig ist, hat großen Einfluss auf seinen Jüngsten.
Schule? Muss nicht sein.
Doch vom Erfolg kann Joachim Ringelnatz als Kind – und auch später als verheirateter Mann – lange nur träumen. Während seiner Schulzeit wird er von seinen Mitschülerinnen und Mitschülern aufgrund seines Aussehens ausgeschlossen und gehänselt. In seiner „Parodie und Selbstparodie in Leben und Werk“ ist er sich sicher: „Ich bin überzeugt, dass mein Gesicht mein Schicksal bestimmt. Hätte ich ein anderes Gesicht, wäre mein Leben ganz anders, jedenfalls ruhiger verlaufen“. Seine Lehrerinnen und Lehrer bezeichnet er wenig schmeichelhaft als „Dunkelmenschen“ und macht damit später mehr als deutlich, dass er auf seine Schulzeit gerne verzichtet hätte.
Auf dem Meer gehen keine Träume in Erfüllung – aber in München?
Im Jahr 1901 beschloss der junge Ringelnatz Seemann zu werden, doch ebenso wie die anderen rund 30 Nebenberufe, die er ausgeübt haben soll, war auch dieser Job auf dem Meer nur von kurzer Dauer. Auch dort ist er Anfeindungen und Beleidigungen ausgesetzt. Nach einigen Jahren der Obdachlosigkeit startet der inzwischen 26-jährige Ringelnatz schließlich seine Bühnenkarriere im Münchner Kabarettlokal „Simplicissimus“. Falls Sie mal in Bayern unterwegs sind, es ist noch geöffnet. Heute gibt es dort aber mehr Schnitzel als Kabarett.
Doch die Bezahlung bleibt schlecht. Ringelnatz beginnt unter diversen Pseudonymen Gedichte und Essays in der Satirezeitschrift „Simplicissimus“ zu veröffentlichen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Um 1910 folgen die ersten Bücher und ein Gedichtband, den er seinem Vater widmet.
Wenn der Buchhalter die Zukunft vorhersagt
Doch Zeit seines Lebens musste Ringelnatz sich mit anderen Jobs über Wasser halten. Dabei ist er nicht weniger kreativ. Er verdient sich unter anderem als Wahrsagerin verkleidet in Bordellen etwas hinzu oder arbeitet kurzzeitig in einem Münchner Reisebüro als Buchhalter, bis der dortige Chef bemerkt, dass Ringelnatz nicht wie angegeben fünf Fremdsprachen beherrscht.
Als Joachim Ringelnatz sich nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Freiwilliger zur Kriegsmarine meldet, macht er sich auch dort als Sonderling einen Namen. Auf einem Außenposten in Cuxhaven legt er ein Terrarium voller Blindschleichen, Frösche und Eidechsen an.
Das zeitlose Gedicht über die Spaghetti
Auch wenn so mancher Text von Ringelnatz aus heutiger Sicht aus der Zeit gefallen wirkt, können wir uns alle im Kampf um die Spaghetti wiederfinden (aus: „Taschenkrümel“, 1922):
Spaghetti
Nur eins von tausend Engelein
Stehe mir ausnahmsweise jetzt bei.
Denn die Spaghetti-Schlänglein
Entklitschen immer dicht vorm Mund.
Und das sieht aus wie Schweinerei
Und sticht die ganze Zunge wund.
Und ich bin doch hier feiner
Kaufleute Gast und schaufle schon
Zwei Stunden rum an der Portion
Und sie wird gar nicht kleiner.
Für sein Gespür für die Skurrilität des Alltäglichen ist Ringelnatz bis heute bekannt. Als Maler widmet er sich in den 1920er-Jahren aber auch zunehmend schweren, düsteren Themen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten muss Joachim Ringelnatz seine Karriere beenden, seine Arbeiten gelten als „entartet“ und werden auf den Index gesetzt, er erhält Bühnenverbot. Im November 1934 stirbt Joachim Ringelnatz an den Folgen der Tuberkulose
Jetzt offiziell Ringelnatz-Fan werden!
Die Arbeiten von Joachim Ringelnatz beschäftigen bis heute viele Menschen. Die Begeisterung geht so weit, dass es sogar einen eigenen Verein für Ringelnatz-Anhänger gibt. Wenn Sie sich vor dem ersten Vereinstreffen noch einlesen möchten, dann bitte hier entlang. Und falls Ihnen erstmal der Sinn nach einem kleinen Spaziergang steht, dann biegen Sie doch einmal ab, in die Joachim-Ringelnatz-Straße in Berlin-Marzahn.