Alma Evert steht in ihrem Büro vorm Tisch © Credits: degewo
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Die gute Seele des Brunnenviertels

Wer zu Alma Evert geht, sucht Unterstützung. Im degewo-Pavillon in der Brunnenstraße Ecke Demminer Straße berät sie rund um Rente und Soziales. Im degewo-Interview spricht sie über ihre Motivation zu helfen, kleine und große Erfolge – und Hoffnung.

Als wir zum Gespräch erscheinen, treffen wir Alma Evert in einer für sie typischen Situation an: am Telefon. Die Renten- und Sozialberaterin hatte heute bereits vier Klienten und konnte sich fließend auf drei Sprachen unterhalten. Ein ganz normaler Tag für sie. Was führt die Menschen zu ihr?

degewo-Blog | Hallo Frau Evert, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen! Sie bieten hier im degewo-Beratungspavillon Rentenberatung und allgemeine Sozialberatung an, und Sie machen das mehrsprachig.

Alma Evert | Also natürlich auf Deutsch, dazu noch auf Türkisch und Russisch. Heute habe ich schon alle Sprachen verwendet. Nur Englisch fehlt noch, das spreche ich natürlich auch! (lacht)

Das ist beeindruckend, sicherlich gibt es viele Fachbegriffe bei so einer Beratung.

Das stimmt, aber es ist wichtig, mit den Menschen in einer Sprache zu reden, in der sie sich wohlfühlen oder in der sie sich besser ausdrücken können. Ich erlebe es oft, dass viel mehr Selbstvertrauen da ist, wenn Menschen ihre Muttersprache sprechen. Manche trauen sich erst dann, wirklich auszusprechen, was sie herführt. Sprachkenntnis spielt in der Renten- und Sozialberatung eine große Rolle. Und es gibt mir wiederum Sicherheit, weil ich weiß, das ich das kann. Durch die Sprache lernt man ja nicht nur Worte, sondern auch eine Art Mentalität, Kultur. Das eröffnet noch einmal ein Verstehen auf einer ganz anderen Ebene.

Wie kommt es, dass Sie all diese Sprachen beherrschen?

Ich habe mehrere Jahre in der Türkei gelebt, das hat mich nicht nur sprachlich geprägt. Sehen Sie, zu mir in die Beratung kommen viele Menschen mit Migrationsgeschichte. Ich war selbst schon Migrantin, sogar zweimal, einmal in der Türkei und nun in Deutschland.

Denken Sie, Ihre eigene Migrationsgeschichte hat Einfluss darauf, wie Sie beraten?

Natürlich, diese doppelte Migrationserfahrung erlaubt mir oft eine Art – ich sage mal – neutrale Position einzunehmen. Gleichzeitig kann ich viele Dinge vielleicht etwas besser nachvollziehen als jemand, der diese Erfahrung nicht gemacht hat. Ich kann zum Beispiel aus eigener Erfahrung über die türkische Community und ihre Bedürfnisse sprechen. Ich weiß aus erster Hand, wie es ist, in Deutschland anzukommen und nicht immer die Hilfe zu bekommen, die man braucht. Als ich hier ankam musste ich mir vieles intuitiv aneignen, ich musste sprichwörtlich herumforschen, auf mein Gefühl hören, an viele Türen klopfen, bis ich Unterstützung fand.

Alma Evert sitzt am Schreibtisch und schaut auf ihren Laptop, neben ihr ein Stapel Papiere. © Credits: degewo
Alma Evert kennt die Kniffe und hilft bei Anträgen und Behördenpost.
Der degewo-Pavillon in der Brunnenstraße Ecke Demminer Straße ist Anlaufstelle für alle, die Unterstützung in Sachen Rente und Soziales brauchen. © Credits: degewo
Der degewo-Pavillon in der Brunnenstraße Ecke Demminer Straße ist Anlaufstelle für alle, die Unterstützung in Sachen Rente und Soziales brauchen.

So eine Beratungsstelle wie Ihre hier gab es nicht?

Das war 1999, da gab es noch wenige solche Beratungen und Projekte. Und man darf nicht vergessen: kaum Internet. Wenn ich Rat wollte, musste ich erst einmal herausfinden, wo ich ihn bekommen konnte, das war nicht so einfach wie heute. Wenn ich wusste, dort und dort gibt es ein Frauenzentrum, dann bin ich dort hingegangen und habe mich vorgestellt und Rat gesucht. Das ist auch einer der Gründe, warum ich selbst Beraterin geworden bin. Ich weiß, was mir damals fehlte. Ich wollte den Menschen ersparen, die gleiche Erfahrung machen zu müssen.

Ihre Arbeit begann damals als Beraterin für Migrationssozialarbeit, heute beraten Sie auch allgemein zu Sozialthemen und zu allem rund um die Rente.

Migrationssozialberatung war meine erste Professionalisierung, die Rentenberatung kam später. Es hatte sich natürlich angefühlt, als Neuangekommene Migrantinnen und Migranten zu helfen, aber irgendwann wollte ich mehr. Ich wollte nicht mehr nur eine „professionelle Migrantin“ sein, sondern für die ganze Gesellschaft da sein. Ein Stück weit will ich auch etwas zurückgeben von dem, was ich einmal von dieser Gesellschaft bekommen habe. Eine allgemeine Sozial- und Rentenberatung anzubieten ist mein Weg. Das ist für mich auch ein Zeichen, in dieser Gesellschaft angekommen zu sein und nicht nur in der eigenen Blase zu leben.

Zu Ihnen kommen viele unterschiedliche Menschen, unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlichem Bildungshintergrund, mit und ohne Migrationsgeschichte, Seniorinnen und Senioren, Menschen mit Geldsorgen. Was führt sie am häufigsten in die Beratung?

Wer in den letzten Jahren am häufigsten kommt – und das besorgt mich – sind Menschen, die Unterstützung brauchen bei der Beantragung ihrer Erwerbsminderungsrente.

Das beantragt man, wenn man aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeitsfähig ist?

Genau, das sind also nicht unbedingt die Älteren. Zum Teil kommen diese Menschen aus eigenem Antrieb, zum Teil, weil sie von einem Amt dazu aufgefordert werden. Das kann das Jobcenter sein oder das Sozialamt, die Krankenkassen machen das auch, wenn Versicherte lange Krankengeld beziehen. Mit großer Traurigkeit stelle ich fest, dass mehr als die Hälfte der bewilligten Erwerbsminderungsrenten auf psychische Erkrankungen zurückzuführen sind.

Sie suchen Unterstützung bei Sozial- und Rententhemen?

Dann melden Sie sich unter alma.evert@gmail.com oder der Telefonnummer 0163 6359153. Die Beratung ist kostenlos und findet dienstags und donnerstags von 10-14 Uhr sowie nach Vereinbarung im degewo-Pavillon in der Brunnenstraße Ecke Demminer Straße statt.

Das erfordert sicherlich viel Fingerspitzengefühl, wenn Menschen in so einer schwierigen Situation Hilfe bei Ihnen suchen.

Man lernt natürlich im Laufe der Jahre damit umzugehen, und in den allermeisten Fällen kann ich ja auch konkret helfen. Das beruhigt viele Leute und gibt ihnen ein positives Gefühl. Hier im Beratungspavillon merken sie auch: Du bist nicht allein. Viele öffnen sich, wenn sie feststellen, dass sie Hilfe bekommen. Ich beobachte auch, dass in den letzten Jahren das Bewusstsein bei vielen zunimmt, dass es okay ist, sich Unterstützung zu holen. Ich habe den Eindruck, dass sie mehr Menschen mit ihrem Leben auseinandersetzen und versuchen zu verstehen, was für sie das Wichtigste ist.

Woran denken Sie liegt das?

Das liegt vor allem daran, dass sich Leute öffentlich mehr dazu bekennen beispielsweise erschöpft zu sein oder ausgebrannt. Es ist weniger schambehaftet über psychische Beeinträchtigungen oder Depressionen zu sprechen als noch vor einigen Jahren. Auch Corona hat viel dazu beigetragen, dass die Leute angefangen haben umzudenken: Was möchte ich, was ist mir wichtig, wofür lebe ich? Der Mensch ist in erster Linie Mensch, nicht Leistungserbringer.

Das klingt fast schon etwas wie Seelsorge.

Vielleicht in dem Sinne, dass die Beratung vielen Menschen Hoffnung gibt und ihnen das sprichtwörtliche Licht am Ende des Tunnels zeigt. Ich sehe das, wenn jemand sehr niedergeschlagen und ängstlich ankommt und dann im Verlauf des Gespächs anfängt zu lächeln. In einigen Gesprächen kommen dann auch weitere Probleme als nur Behördenkorrespondenz zum Vorschein, beispielsweise dass Menschen sehr einsam sind. Das geht quer durch alle Schichten. Es gibt in Berlin leider ziemlich viele Leute, die ganz alleine leben und keinen Anschluss an die Gesellschaft finden – und ich rede nicht von den Migranten, ich rede eher von Deutschen. Für sie ist der Beratungspavillon auch eine Anlaufstelle, um einfach mal zu reden, einen Tee zu trinken und Kontakt zu haben.

Vielen Dank für Ihr Engagement und das Gespräch!