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Berlin ehrt seinen sozialen Stararchitekten Alfred Messel

Ohne ihn würde Berlin nicht so aussehen, wie wir es kennen. Nun wurde neben Alfred Messels Wohnhaus in der Bissingzeile eine Gedenktafel enthüllt. Was macht den Stararchitekten der vorletzten Jahrhundertwende so besonders? Es ist nicht nur die Architektur selbst.

Er gilt als einer der bedeutendsten Architekten des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Eine neue Gedenktafel aus dem Hause der Königlichen Porzellanmanufaktur KPM erinnert nun am ehemaligen Wohnort des Berliner Starachitekten Alfred Messel an sein Erbe. Und das besteht nicht nur aus Repräsentativbauten und Stadtvillen.

Eine neue Ära des Designs und der Baukunst

Mit wegweisenden Bauten wie dem Kaufhaus Wertheim und dem Pergamonmuseum revolutionierte Messel das Berliner Stadtbild. Sie repräsentierten eine neue Ära des Designs und der Baukunst und beeinflussten nachfolgende Generationen von Architekten. Die markanten Fassaden und raffinierten Innenräume Alfred Messels sind architektonische Meisterwerke, die auch heute noch Bewunderung hervorrufen. Was auch Bewunderung hervorruft: das soziale Engagement des Architekten.

Der Erfinder des sozialen Wohnungsbaus

Alfred Messel gilt als der Erfinder des sozialen Wohnungsbaus, er spielte eine große Rolle beim Entstehen der Baugenossenschaften und Wohnungsbauvereine. Für den „Berliner Spar- und Bauverein“ lieferte er kostenlos mehrere Entwürfe für Wohnanlagen. In der Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende, als Berlin aus allen Nähten platzte und dringend neuen Wohnraum benötigte, vertrat Messel die Ansicht, dass man die Menschen nicht in enge Mietskasernen drängen könne. Seine Arbeiterhäuser waren nicht nur komfortabel (und gleichzeitig günstig im Bau), sondern auch ästhetisch richtungsweisend. Noch heute sind viele von Messels Reformwohnungsbauten in öffentlicher Hand und sind für Mieterinnen und Mietern mit kleinem Budget ein Zuhause.

Alfred Messels Weg nach Berlin

Die Leidenschaft zum Beruf machen – wer träumt nicht davon? Alfred Messel wurde 1853 in Darmstadt geboren und hatte eine Leidenschaft für Architektur. Schon früh entschied er sich, sein Talent und seine Kreativität auf diesem Gebiet zu entfalten. Nach seinem Studium an der Kunstakademie Kassel zog es Messel nach Berlin, um an der Bauakademie Architektur zu studieren. Die aufstrebende Stadt bot ihm vielfältige Möglichkeiten, seine architektonischen Visionen umzusetzen. Mit seinem innovativen Stil und seinen außergewöhnlichen Entwürfen erlangte Messel schnell Anerkennung und wurde zu einem gefragten Architekten. In Berlin konnte er sein architektonisches Genie entfalten und prachtvolle Bauwerke schaffen, die noch heute bewundert werden. Einige davon kennen Sie ganz bestimmt, auch wenn Sie noch nie den Namen Alfred Messel gehört haben.

Pergamonmuseum: Kunst und Kultur in Berlin

Beginnen wir unsere Reise mit einem Besuch des Pergamonmuseums. Dieses Juwel wurde zwischen 1910 und 1930 erbaut und trägt die Handschrift von Alfred Messel. Erbaut und vollendet wurde es vom späteren Berliner Stadtbaurat Ludwig Hoffmann. Gemeinsam prägten sie die „Neuberliner Bauschule“. Der frühe Tod Alfred Messels 1909 (er starb mit nur 55 Jahren) verhinderte, dass er den Entwurf für das Pergamonmuseum realisiert sehen konnte. Schon das Betreten des Museums ruft in den Besuchenden Erfurcht hervor, wenn sich die Eingangshalle mit ihren majestätischen Säulen auftut. Im Inneren erwartet Sie eine weltbekannte Sammlung antiker Kunstwerke, darunter der legendäre Fries des Pergamonaltars. Messels geniales Design schafft eine perfekte Verbindung zwischen der Architektur und den kostbaren Exponaten, die die Besuchenden tief in die Geschichte eintauchen lassen.

Warenhaus Wertheim: Das neue Einkaufserlebnis

Nicht nur Shoppingfreundinnen und- freunde werden von diesem Werk Alfred Messels begeistert sein: das Warenhaus Wertheim am Leipziger Platz. Dieses Gebäude hat über Dekaden das Berliner Stadtbild geprägt und den Einzelhandel verändert. Messel setzte mit seiner Gestaltung und seinem Raumkonzept neue Maßstäbe. Die markante Fassade des Kaufhauses Wertheim zog alle Blicke auf sich. Im Inneren erwarteten die Besuchenden großzügige Verkaufsräume, lichtdurchflutete Innenhöfe und geschwungene Treppen, die für ein angenehmes Ambiente sorgten. Das war Einkaufen mit Stil! Das bis dahin größte Kaufhaus Europas erregte enormes Interesse. 1910 besuchte es Kaiser Wilhelm II., was angesichts des jüdischen Glaubens der Wertheim-Familie – der Kaiser war glühender Antisemit – nicht selbstverständlich war. Es war Alfred Messel, der diesen Besuch vermittelte und so zum gesellschaftlichen Aufstieg der Familie Wertheim beitrug. Vor dem Warenhaus am Leipziger Platz baute er für den Wertheim-Konzern bereits das Kaufhaus am Moritzplatz –  im Zweiten Weltkrieg zerstört – und danach das noch heute erhaltene Warenhaus auf der Rosenthaler Straße.

Boykottaktion der Nazis gegen jüdische Geschäfte, Filmleute warten auf Publikum, welches das Warenhaus Wertheim betreten will. SA- und SS-Leute stehen davor, ein Mann mit Schild um den Hals „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“, rechts Mann mit Filmkamera filmend. © Credits: Bundesarchiv, Bild 183-R70355 / UnknownUnknown / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en>, via Wikimedia Commons
1933 wurde das Warenhaus Wertheim Schauplatz der Nazipropaganda. Wenige Jahre später wurde der Gründer des Wertheim-Konzerns zum Rückzug gezwungen.

„Arisierung“ und Zerstörung

Mit der „Machtergreifung“ der Nazis fand dieser jedoch ein jähes Ende. Der Boykott jüdischer Geschäfte traf auch die Wertheims. 1937 wurde der Konzerngründer Georg Wertheim gezwungen, aus dem Unternehmen auszutreten, das Warenhaus bestand von nun an „arisiert“ unter dem Namen „AWAG“ (Allgemeine Warenhandels-Gesellschaft) fort. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude zerstört, die Trümmer lagen noch jahrelang auf dem Platz. Heute steht hier wieder ein Kaufhaus: Seit 2014 hat die Mall of Berlin am Leipziger Platz ihre Pforten geöffnet.

Ein Wohnhaus in Berlin-Friedrichshain
Die 1896/98 erbaute Reformwohnanlage von Alfred Messel in der Proskauer Straße Ecke Schreinerstraße hat nicht nur eine wunderschöne Fassade, hinter der sich 116 Wohnungen verbergen, sondern …
Ein begrünter Innenhof in Berlin-Friedrichshain
… auch einen großzügigen, begrünten Innenhof. Auf 30 mal 40 Meter können die Mieterinnen und Mieter hier entspannen. Die Siedlung wurde auf der Weltausstellung im Jahr 1900 in Paris mit einer Goldmedaille ausgezeichnet.

Ästhetik und Funktionalität: Ein Architekt schafft Wohnraum

Alfred Messel hinterließ nicht nur im öffentlichen Raum seine Spuren, sondern prägte mit einer Vielzahl eindrucksvoller Wohnbauten auch das private Wohnen in Berlin. Als erster namhafter Architekt setzte er sich mit dem Arbeiterwohnungsbau auseinander. Mit innovativen Grundrissen und durchdachten Raumkonzepten schuf Messel Wohnhäuser, die den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner entsprachen und zugleich eine zeitlose Schönheit ausstrahlten. Seine Bauten – von der Stadtvilla bis zum Mietshaus – zieren oft reich verzierte Fassaden, die den Charme des Jugendstils widerspiegeln. Sie sind nicht nur Zeugnisse eines architektonischen Genies, sondern auch Orte zum Wohlfühlen. Wer sich für den Stil Alfred Messels interessiert und die Augen offen hält, kann bei Spaziergängen durch Berlin-Tiergarten, über den Kurfürstendamm und in Berlin-Mitte einige seiner Wohn-, Geschäfts- und Atelierhäuser entdecken.

… und danach.
Vor der Enthüllung …

Gedenktafel erinnert an Alfred Messel

Heute erinnert Berlin mit Stolz an Alfred Messel und sein Vermächtnis. Seine Bauten sind nicht nur Zeugen einer vergangenen Epoche, sondern auch lebendige Symbole für die Kreativität und den Innovationsgeist eines außergewöhnlichen Architekten. Zu seinen Ehren wurde am 8. Juni 2023 in der Bissingzeile 11 eine Gedenktafel enthüllt. Alfred Messel wohnte in der Bissingzeile 13, das Gebäude steht allerdings nicht mehr, es wurde durch einen Neubau ersetzt. Deshalb schmückt die Gedenktafel nun das Nachbarhaus, das sich im Bestand von degewo befindet.

Joe Chialo, Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, spricht vor Publikum
Für Joe Chialo, Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, war es die erste Gedenktafelenthüllung in seiner Amtszeit. Er sei froh, dass Alfred Messel den Anfang mache, der Berlin mit seinen Bauten stark geprägt hätte, so der Senator.
degewo-Vorständin Sandra Wehrmann spricht vor Publikum
degewo-Vorständin Sandra Wehrmann betonte die Visionskraft Alfred Messels und seine Bedeutung für den sozialen Wohnungsbau.

Kultursenator Joe Chialos erste Gedenktafelenthüllung

Für den frischgebackenen Kultursenator Joe Chialo war es die erste Enthüllungszeremonie einer Berliner Gedenktafel. Im Beisein der degewo-Vorständin Sandra Wehrmann präsentierte er gemeinsam mit Nora Hogrefe vom Verein Aktives Museum die Porzellantafel. Der Verein Aktives Museum Faschismus und Widerstand war für die Recherche und Organisation der Gedenktafel für Alfred Messel zuständig. Seit 2013 engagiert sich der Verein für die Umsetzung des Berliner Gedenktafelprogramms. Die Berliner Gedenktafeln werden durch das Land initiiert und sind Teil des Förderprogramms Historische Stadtmarkierungen der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt.